Esther Grau

inspired by dreams

“Ich werde leider täglich mehr zur Fledermaus”

September16

Träumerisch mutet die Schreibumgebung auf Gut Abbenburg an, wie sie Annette von Droste-Hülshoff beim Verwandtschaftsbesuch im westfälischen Brakel-Bellersen erlebt. Obwohl ihr der Kopf vor allerlei Ungemach brummt, schildert sie ihrer Bonner Freundin Billa, “Rheingräfin” Sybille Mertens-Schaaffhausen, die zauberhafte Kulisse in einem notgedrungen konfusen Brief aus dem Jahr 1843:

Jetzt hat sich mir der Krankheitsstoff wieder auf den Kopf geworfen, der mir den ganzen Tag summt und siedet wie eine Teemaschine – Ohr, Zahn, Gesichtsschmerz – ich möchte mich zuweilen, wie jener Halbgeköpfte (Kindermärchen von Grimm), bei den Haaren nehmen und mein weises Haupt in den Fischteich unter meinem Fenster werfen, wo es ihm wenigstens kühl werden würde. Erwarte also nur konfuses Zeug in diesem Briefe, denn ich bin halb simpel vor Duseligkeit, und muss bei jeder dritten Zeile aufspringen, um das Blut sinken zu lassen. […]

Hier würde es mir sonst recht gut gehn, alles ist freundlich, Gegend, Haus, Wetter und Menschen. Haben wir kein Siebengebirge, so haben wir doch sehr anmutige Hügel mit prächtigen Steinbrüchen, wo ich heraushämmern könnte, was mein Herz nur verlangt, und statt eigentlicher Parks doch wenigstens hübsche Spazierwege durch Laub- und Nadelholz, und einige sogar imposante Baumhallen, wo ich sehr gern arbeiten möchte […].

Gutes Herz, wärst Du hier, es wäre doch, trotz allen Schmerzen, charmant in Abbenburg. Ich habe hier ein nettes heitres Quartier, unter den Fenstern eine hübsche Blumenterrasse mit Springbrunnen, und allerlei reizende Plätzchen in der nächsten Umgebung, —z. B. gleich vor mir einen Eichwald, mit großem Teiche und Insel darin, wo eine gewaltige Linde ihre Zweige fast auf den Boden senkt, und es sich auf den Sitzen gar anmutig über dem Wasser träumen läßt; dann noch eine andre, etwas entferntere Anlage, die sehr gut unterhalten, aber von niemanden besucht wird, da wäre alles unser Eigen, Baumhallen, Sitze, das hübsche Zelt, bloß für uns Zweie, um es nach Belieben mit den Bildern unsrer Liebsten zu bevölkern, oder zu einer Robinsons-Einsamkeit zu machen.

Ich werde leider täglich mehr zur Fledermaus, zwischen Licht und Dämmerung, das ist meine rechte Zeit, und übrigens allein oder zu zweien, was darüber, ist vom Übel, und ich möchte immer, wie ein travestierter Hamlet, sagen: „Träumen, Träumen! Vielleicht auch Schlafen!“ […].

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