Esther Grau

inspired by dreams

Geschenk mit Gänsehaut: Kunst für alle an der Oper Leipzig

September22

Die Oper Leipzig lud zu Beginn der Spielzeit 2014/15 zum Tag der offenen Tür.

Tatsächlich waren die Türen so offen und voller Menschen, dass ich zunächst nicht einmal bis ins Foyer kam. Im Vorraum probte bereits das Ballet. An Stangen, die zwischen den Besuchern standen, hoben und senkten sich die Glieder, während der erste Ballettmeister unter launigen Bemerkungen einzelne Ensemblemitglieder vorstellte. Die jungen Tänzerinnen und Tänzer (39 Mitglieder aus 21 Nationen!) gaben acht, niemanden mit den Zehenspitzen den Kaffee aus der Hand zu stupsen.

Da wusste ich noch nicht, dass sie mir Gänsehaut machen konnten.

Ich bummelte vorerst weiter, drängte mich nun doch in das Foyer mit seinen Info- und Unterhaltungsständen (Schminken, Buttons, Quiz, Sponsoren). Als Gegengewicht zu den geistigen Genüsse der Hochkultur  lud ein großes Kuchenbuffet zur Stärkung ein.

Als ich aus dem bunten Treiben im Foyer endlich zum Zuschauerschaal hinaufging, erlebte ich auf der Bühne leider nur noch einen Teil der Vorschau auf die neue Spielzeit. Ein paar Szenen, dann kam schon der Kinderchor und nach einem offenen Umbau sah ich das Ballett wieder. Im Schnelldurchlauf wurde das Training vorführt und erklärt, vom Aufwärmen bis zu den kraftvollen Sprüngen durch den Raum, standesgemäß am Klavier begleitet.

Oper Leipzig

Kostproben ganzer Szenen zeigten anschließend: Es war die Art Ballett, die auch jedem Vorurteilsträger klar machte, dass Männer dort nicht in affigen Strumpfhosen oder Püppchen in Tutus herumhüpfen. Das Stück Decadance sprühte vor Kraft und Dynamik, hier ging es um Power und Energie. Einen kleinen Einblick gibt es hier.

Musik, Rhythmus und Tanz versetzten den Zuschauerraum so in Begeisterung, dass man am liebsten mitgetanzt hätte.

Und dann passierte genau das.

Die Tänzer verteilten sich im Publikum und brachten je  einen Besucher auf die Bühne, um mit ihm gemeinsam zu improvisieren.  Paare rockten über die Bühne, zuweilen zierliche Tänzerinnen im Reigen mit älteren Herren und muskulöse Tänzer, die gesetzte Damen auf Händen trugen. Wirken solche Aktionen normalerweise eher peinlich und bemüht, so gelang hier das Gegenteil: Die Grenze zwischen Performance und Publikum fiel, beide verschmolzen zu einer Einheit, einem vibrierenden Ereignis, das die Freude am Tanz, am Puls des Lebendigseins feierte. Alle, alle im Saal waren Teil des Geschehens, Gänsehaut und good vibrations bis auf dem letzten Platz, es hatten sich sämtliche, auch die inneren Türen geöffnet.

Um 18.00 Uhr rundete ein Konzert des Gewandhausorchesters das Programm mit einem konzertanten Querschnitt der kommenden  Saison ab. Der Andrang war so groß, dass auch hier ausnahmsweise alle Türen zum Zuschauersaal geöffnet wurden. Eine schöne Geste.

Nach der Tannhäuser-Ouvertüre folgten verschiedene Operettenarien, unter anderem von einem „lyrischen“ (!) Tenor. Zwischendurch stimmte das Publikum über den neuen Klingelton des Opernhauses ab. Das „schmissige“ Finale ging mit dem „Mambo“ aus West Side Story noch einmal unter die Haut.

Als ich das Opernhaus verließ, tauchte ich nur langsam aus der Parallelwelt der Bühne auf, in die ich für einen halben Tag verschwunden war. Den Veranstaltern gelang vielleicht mehr, als sie sich erhofften: Sie zeigten sich transparent, unterhielten gut mit ihren Künsten, luden zum Mitmachen ein und begeisterten alle Altersklassen. Der Ticketrabatt wird hoffentlich sein Übriges getan haben. Besser kann ein Tag der offenen Tür kaum laufen.

Am Ende verließ ich das Opernhaus und lief strahlend mitten in den Gewitterregen. Ich fühlte mich sehr beschenkt.

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