Buchextrakt (34) Charles Yu: Handbuch für Zeitreisende
Der Protagonist, der denselben Namen wie der Autor trägt, verdient nach einem “Masterstudium in angewandter Science-Fiction” sein Geld mit der Reparatur von Zeitreisemaschinen. In seine Geschichte sind Auszüge aus dem eigentlichen Handbuch für Zeitreisende eingeschoben, wie dieser über unsere Welt:
SF-UNIVERSUM, UNFERTIGKEIT
Klein-Universum 31 wurde im Verlauf seiner Konstruktion leicht beschäfigt. Infolgedessen hat der Erbauer-Entwickler, der im Besitz der Rechte ist, die ursprünglichen Pläne für den Raum aufgegeben.
Als die Arbeiten eingestellt wurden, war die Physik erst zu 93 Prozent installiert. Deshalb werden Sie womöglich feststellen, dass es hier und dort ein bisschen unberechenbar zugeht. Doch in der Regel sollten Reisende während ihres Aufenthalts mit einem handelsüblichen quantenrelativitätsbasierten Kausalprozessor problemlos zurechtkommen.
Die vom KU-31-Ingenieurteam hinterlassene Technologie ist zwar nicht vollständig entwickelt, aber erstklassig. Letzteres kann man von den menschlichen Bewohnern, die offenbar ein Gefühl der Unvollkommenheit zurückbehalten haben, allerdings nicht behaupten (S. 26).
Das Buch bleibt weder so technisch noch so lustig-locker, wie es am Anfang daherkommt. Spätestens wenn Yu von seiner Mutter erzählt, die freiwillig in einer Zeitschleife, der “Sci-Fi-Version des betreuten Wohnens” lebt, schluckt man als Leser schon mal. Sie erlebt dieselbe Stunde eines familiären Abendessens mit virtuellen Versionen von Sohn und Mann immer wieder. Freier Wille inklusive, aber sie hat trotzdem zehn Jahre im Voraus bezahlt. Der Witz daran: Die Simulation entspricht nicht einmal einer “echten” Erinnerung, sondern nur einer ersehnten Idealsituation.
So viel also von Zeitmaschinentechnik die Rede ist, wird doch deutlich, dass unser aller Erinnerungsvermögen die eigentliche Zeitmaschine darstellt. Das Buch spielt mit dem Wechsel dieser beiden Ebenen. So dreht sich ein Großteil der Geschichte um die Aufarbeitung von Yus Erinnerungen an seinen Erfinder-Vater, mit dem er erfolglos an Zeitmaschinenen bastelte – bis der Vater verschwand … Und natürlich gerät der Protagonist irgendwann selbst in eine Zeitschleife.
Ein ungewöhnliches Buch, das sich schon aufgrund seines originellen Zugangs, der Montagetechnik und immer neuer Perspektiven zu lesen lohnt.