Buchextrakt (31) Mine Sö?üt: Das Haus der fünf Sevimen
Ein schöner Fund im Bücherroulette. Wie der Untertitel schon sagt, handelt das Buch “von Geistern und Träumen”. Gemeint sind keine netten Feen, sondern dämonische Dschinn, die Spezialisten in Schadenszauber und Menschen-verrückt-machen sind. Trotzdem ist die Erzählung alles andere als ein Horrorschmöker im klassischen Sinne.
Formal umfasst das Buch die Aufzeichnungen des Psychiaters Doktor Samimi, der in Istanbul ein eigenwilliges Experiment durchführt, um die (Nicht-)Existenz von Geistern und Feen zu beweisen. Da er selbst von Kindheit an von ihnen besucht oder besser heimgesucht wird, nimmt er die ganze Angelegentheit ziemlich persönlich. Folglich erfüllt das Experiment auch nicht eben die Standards naturwissenschaftlicher Forschung. Objektivität und Freiwilligkeit der Versuchspersonen gehen ihm völlig ab und die geisterhaften Wesen sind alles andere als eine kontrollierte Variable. Von Berufs wegen hält Dr. Samimi sie ohnehin für bloße Wahrnehmungsstörungen, aber was er als Krankenprotokolle über die Geschichten seiner Patienten notiert, ähnelt eher einem (alb)traumartigen Märchenbuch.
Die Stärke des Buches liegt in einer gelungenen Kombination: Poetische Fantasiegeschichten werfen scheinbar harmlos ihren schützenden Märchenmantel über eiskalte Fälle von Traumatisierung. Fast unmerklich gelingt die Gegenüberstellung von Innen- und Außenperspektive der “besessenen” geistig Gestörten (oder besser: Geister-Gestörten).
“Aus den Fenstern des vorderen Hauses schauten neugierig Augenpaare, und ihre Blicke trafen hin und wieder auf die fünf Personen. Doch keiner der Bewohner des Fünf-Sevimen-Hauses merkte, dass er beobachtet wurde. Ihrer aller Blick galt allein dem Meer, das zwischen den beiden Häusernzu sehen war. Als packte der Ausblick die Schiffe, die Vögel und sämtlichen Kleinkram ein und entschwände, wenn sie auch auch nur einen Augenblick die Augen davon lösten. Als ständen die Wasser still, die nur für sie flossen, wenn sie bloß einmal den Blick abwandten. Als stürben sie, wenn sei einen Tag nicht ans Fenster treten würden.” (S. 12)