Der Ring des Nibelungen
Voller Musik bin ich noch immer, nachdem ich in den letzten Tagen Wagners Ring des Nibelungen gesehen habe, den das Freiburger Theater zu seinem 100-jährigen Jubiläum komplett aufführte. Rheingold, Walküre, Siegfried und Götterdämmerung innerhalb einer knappen Woche. „So viel Bayreuth war selten an der Dreisam“, kündigte die Presse an – und Recht hatte sie.
Für mich war es das Operndebüt. Gereizt hat mich Wagners Musik, gepackt haben mich Stoff und Text aber schließlich genauso sehr. Schon beim Auftritt der Rheintöchter mit ihren sprechenden Namen Wellgunde, Floßhilde und Woglinde war klar – das wird unterhaltsam und längst nicht so ernst und schwer, wie man von Oper denken mag („Mime, du Memme!“).
Zumal die Geschichte hochmodern ist: Alles dreht sich um Kapital und Macht. Zwerg Alberich klaut das Rheingold (der „Hort des Nibelungen“) und schmiedet sich daraus einen Ring, der ihm die Weltherrschaft verspricht. Gott Wotan nimmt dem Angeberzwerg den Ring ab, muss ihn aufgrund vertraglicher Verpflichtungen aber seinerseits den Riesen überlassen. Da Alberich den Ring noch schnell verflucht hat, gibt es im Weiteren reichlich Unheil und Verwirrung. Ein Ring und viele Todesfälle sozusagen. Denn die Gegenspieler Wotan und Alberich, die nun beide Reichtum und Macht wiedererlangen wollen, geben dieses Ziel an ihre eigens dafür gezeugten Nachkommen weiter (Sigmund, seinerseits Vater von Siegfried, dem Drachentöter, und Hagen), die an diesem Familienerbe jeweils schwer zu tragen haben.
Am Freiburger Theater wurde bewusst ein „Ring ohne Magie“ inszeniert. Obwohl das Stück vor Göttern, Zwergen, Riesen, Nymphen etc. wimmelt, wurden diese Wesen vor allem in ihren menschlichen Dimensionen dargestellt. Diese psychologische Betrachtung passte gut, da sie tatsächlich zutiefst menschlichen Motiven folgen: Macht, Liebe, Neid, Rache etc. Besondere Bedeutung wurde darüber hinaus den Familienkonstellationen und Generationenkonflikten zugemessen. So rückten alle wichtigen Figuren automatisch näher an die Zuschauer.
Manchmal hätte ich mir jedoch ein bisschen heroische Distanz gewünscht. Zum Beispiel beim Auftritt der Walküren, deren Aufgabe es ist, als amazonenhafte Geisterfrauen die Seelen gefallener Helden nach Walhall zu bringen. Brünnhilde und die Walküren sind aber eben auch Töchter des Gottes Wotan (Odin). Folglich traten sie in Freiburg nicht als gerüstete Frauen, sondern als Mädchen mit blonden Zöpfen auf.
Insgesamt also eine moderne Inszenierung. Das erkennt man vor allem daran, dass viel in Unterwäsche gesungen wurde. Einen visuellen Eindruck gibt es hier. Da hätte ich mir manchmal ein bisschen mehr Heldenpathos und Mystik gewünscht, um der Imagination mehr Freiraum zu lassen.
Aufschlussreich sind bei einem solchen Event auch die Zuschauerreaktionen. So reichlich die Sänger und Musiker mit Applaus bedacht wurden, so unüberhörbar blieben die Buh-Rufe beim Auftritt der Dramaturgen. Entsprechend rege wurde die Inszenierung in den Pausen diskutiert, obwohl man sich bei solchen Mammutsitzungen natürlich auch um sein leibliches Wohl kümmert. Dennoch bleibt man eingesponnen in den (sprachlichen) Kosmos dieser Welt, wie folgender Dialog zeigt, den ich vor der Getränketheke auffing:
„Norbert, was machst du?“ – „Ich stehe in der Schlange und harre!“
Ich harre jetzt auch, nämlich der Nibelungenmusik, die ich mir zum Nachhören bestellt habe, und ziehe damit mein Fazit nach 16 Stunden Oper: Ich will tatsächlich mehr.
… und herzlichen Dank mal wieder an Anke Gröner, die mit ihren wiederholten Opernberichten meine Neugier zusätzlich schürte.